Lograys Sicht (Gastbeitrag)
In einem Gespräch mit meinem guten Freund ph0lk3r , den ich gern als Mentor in allen Dingen der IT ansehe, kamen wir auf das Thema Schamanismus. Als – zumindest ausgebildeter – Ethnologe, der nun in der IT-Sicherheit sein Unwesen treibt, war mir der Schamanismus, der Tengrismus, Animismus, also viele kulturelle Eigenheiten mit Mus am Ende, stets nahe, beschreiben sie doch einen integralen Bestandteil jeder Kultur. Stanley Kubricks „2001 – Odyssee im Weltraum“ hat im Grunde eine Weiche für das gestellt, was mein Freund und ich uns da an meinem Küchentisch herbeiphilosophierten. Der Geist in der Maschine – deus in machinam.
Schamanismus?
Nein, „den“ Schamanismus gibt es nicht. Es gibt viele Arten von Kontakten zur Geisterwelt, die sich seit der frühen Bronzezeit mit der sogenannten „Schamanin von Bad Dürrenberg“ auch in Europa und der ganzen Welt ethnologisch, historisch und archäologisch fassen lassen. Was all diesen Formen, die wir der Einfachheit halber „Schamanismus“ nennen möchten, gemein ist, ist der Glaube an eine beseelte Umwelt. Hier werden Bäumen, Tieren und Pflanzen bestimmte Seelen zugesprochen, die ihnen innewohnen. Manche Kulturen haben diese Geister auch fast vollständig in außerirdische Sphären geschoben, wie zum Beispiel die Bräuche, die sich, wie Voodoo oder Santeria, aus indigenen Überlieferungen und christlicher Mystik entwickelt haben. Dies ist natürlich sehr vereinfacht dargestellt, aber Ihr versteht bestimmt, worauf ich hinauswill. Es gibt auch noch eine weitere Gemeinsamkeit: Den Schamanen selbst. Er trägt in tausend Kulturen genauso viele Namen und Kleider, ist mal vorwiegend männlich, dann wieder vorwiegend weiblich, und im Falle einiger Native American Tribes ein „Two Spirit“, wobei diese Behauptung auf wackligen Füßen steht. In allen Fällen ist der Schamane der Mittler zwischen den Welten, einer, der mit den Geistern redet, der durch die Geisterwelt reist auf der Suche nach Heilung oder Vernichtung, der für seine Gemeinschaft das tut, was sie selbst nicht kann.
Techno-Schamanismus?!
ph0lk3r und ich kamen überein, dass Dinge, Personen und Orte dadurch Macht erhalten, dass man an sie glaubt. Politikern wird Macht verliehen. Der Bonifatiuseiche war Macht verliehen wurden, der Irminsul, den Schlachtfeldern von Flandern. Wir Menschen glauben an Dinge. Auch wenn wir uns gerne aufgeklärt als Agnostiker bezeichnen, oder unser Ego sonstwie streicheln wollen, so glauben wir doch an viele Dinge. „No place like home“, „Gott sei dank“, „Herr Doktor, danke für die Behandlung.“, „Aspirin – und gut“, „zuhause im Olympiastadion spielen die einfach am besten“. Alles kleine Beispiele dafür, wie wir Menschen Dingen, Orten und anderen Menschen Macht verleihen. Und wenn wir das lange und nachhaltig genug tun, wer weiß? Vielleicht erwächst dann den Dingen eine mystische Form der Macht. Wenn wir also annehmen, dass man Dingen Macht verleihen kann durch den Glauben, wie mächtig müssen dann erst Dinge werden, deren Macht greifbar ist, aber nicht verständlich für den Laien? Für unsere Vorfahren waren Donner und Blitz Ausdruck einer beseelten Umwelt, mit zerstörerischer und auch lebensspendender Kraft. In Sibirien sprachen die Schamanen Jagdzauber auf kleine Totems, in die die Seele des erlegten Tieres fahren sollte, und nicht in den Jäger. In einem Bürogebäude betritt der IT-Techniker den Raum, und das störrische Computersystem des Buchhalters verhält sich plötzlich lammfromm. Habt Ihr schon einmal von Eurem Techie den Satz gehört: „Hast Du es schon mit an- und ausschalten probiert?“ Wie oft hat das wirklich geholfen? Ich meine, sehr oft. Habt Ihr von Eurem Techie eine Erklärung dafür erhalten? Wahrscheinlich nicht. Wir wissen selbst oft nicht, warum das System jetzt gerade hängt. Aber ein Neustart hilft erwiesenermaßen. Quasi das Aspirin des Allgemeinmediziners. Der Schamane macht es ähnlich. Er betritt auf seinem Pferd, der Trommel, reitend die Geisterwelt, getragen vom Rhythmus, von vier Schlägen pro Sekunde. Ein erfahrener Schamane schafft den Übergang mühelos, ein unerfahrener braucht eine Weile, wie in jedem Beruf. Und er weiß, dass es Geister gibt, die nur mit dem richtigen Ritus zu besänftigen sind. Wünscht sich der Patient Heilung, wird ein guter Schamane tun, was er kann, und dann, wenn das nicht hilft, den nächsten Arzt oder das nächste Krankenhaus aufsuchen. Er wird sich nicht hinter seiner Berufsbezeichnung verstecken, und den Halbgott mimen. Der erfahrene IT-ler hat ein großes Portfolio an Riten, die die störrische Maschine besänftigen. Manchmal reicht seine Aura, manchmal der große Ritus der Neuinstallation, der die Maschine reinigt. Also im Grunde eine ausgewogene Traumatherapie. Manchmal beißen sich jüngere Kollegen tagelang die Zähne aus, bis sie selbige einmal auseinanderbekommen, und einen Senior fragen, der oft genug nur draufguckt, um dann zu sagen: „Da fehlt ein Komma.“ Der Endanwender hat kaum einmal nähere Kenntnis von den Eigenheiten der Maschine, nicht mehr, als der steinzeitliche Jäger von der Geisterwelt. Er weiß, es gibt sie, er weiß, er kommt ohne sie nicht aus, wenn er überleben will, aber er braucht jemanden, der mit der Maschine in seinem Namen kommuniziert.
Initiation
Der Schamane wird, wie Mircea Elliade feststellte, durch Ekstase initiiert. Der verliert sich in einem Trancezustand, in dem sich die Geisterwelt ihm offenbart, ihn auseinanderreißt bis auf das bloße Skelett, und ihn dann neu zusammensetzt. Wenn er danach wieder mit der Geisterwelt in Kontakt tritt, trägt er seine Maske. Und ja, damit ist nicht nur die physische Maske, der Kopfschmuck, gemeint, sondern auch die metaphorische Maske. In dem Moment, wo er mit den Geistern kommuniziert, wird er ein Anderer. Was erzählt der Irre da jetzt?, werdet Ihr Euch vielleicht fragen, wir werden doch nicht durch Ekstase Informatiker oder Techies. Doch, meine Lieben, werdet Ihr. Erinnert Euch an die Wochenenden, die Ihr vor den Maschinen gehangen habt, auf LAN-Parties, Hackatons, Kongressen, bei Freunden, Familie, irgendwo, auf der Suche nach einem Problem, wachgehalten von Energydrinks und dem schieren Unvermögen, jetzt aufzuhören, wo doch hinter dem nächsten Klick unfassbare Geheimnisse lauern könnten. Der erste Schritt auf einem Weg, um festzustellen, ob der Geist in der Maschine von Euch Besitz ergreifen kann oder nicht. Und erst, wenn er das getan hat, geht Ihr denselben Weg, den der Schamane seit Jahrtausenden geht.
Netzwerk
Die Geisterwelt des Schamanen ist ein Netzwerk ähnlich dem Myzel der Pilze. Ein vielschichtiger Vergleich, wie die Interessierten sich sicher denken können. Wie George Lucas unserem Liebling Obi-Wan Kenobi so weise in den Mund legte: „Es ist ein Energiefeld, das alle lebenden Wesen erzeugen. Es umgibt uns, es durchdringt uns, es hält die Galaxis zusammen.“ Wenn das nicht mal eine andere Form des Internets beschreibt, weiß ich auch nicht. Der Schamane ist ein Netzwerker. Auch wenn er selbst außerhalb der Gesellschaft steht, in die er nicht so recht passt (na, wer kennt das auch?), so kommt die Gesellschaft doch nicht ohne seine Dienste aus, auch wenn sie das ungern zugibt. Der Techie erfährt nicht oft Dank für seine Tätigkeit, und den Schamanen als materiell reichen Menschen zu bezeichnen, wäre wohl entweder schlicht falsch, oder er hat mit dem Verkauf von esoterischen Pülverchen und YouTube eine Menge Geld gemacht.
Deus In Machinam
Aber wieso zum Henker sollten nun in der Maschine Geister stecken? Wir erinnern uns: Alle Dinge erhalten Macht durch den Glauben daran. Wir verstehen es vielleicht nicht so, aber durch unseren ständigen Kontakt mit Maschinen, vom Eierkocher bis zum Quantencomputer, sind sie Teil unserer Welt geworden. Wir benutzen sie, auch wenn wir ihre Funktionsweise oft nicht verstehen können, oder wollen. Dafür gibt es ja Fachleute, die für uns vermitteln. Und merkwürdigerweise unterwerfen sich die Maschinen ihnen. Warum auch immer. Vielleicht, weil die Geister diese Menschen als zu ihnen gehörig akzeptieren. Jeder Fachkundige wird sagen, dass dieses Wissen ja prinzipiell jedem offensteht, der gewillt ist, damit zu arbeiten, und die Hintergründe zu verstehen, aber vielleicht ist es auch so, dass die Maschinen jene auswählen, die mit ihnen arbeiten dürfen. Zumindest wäre das die schamanistische Sichtweise auf diese Dinge. Also könnte, wenn man den Gedanke zulässt, auch die Maschine Teil der beseelten Natur sein. Sie ist aus Dingen der Erde geschaffen, seltene Erden und Metalle, von Kundigen zusammengesetzt, teilweise von Maschinen, die Bauteile so klein zusammenbauen können, wie es keinem Menschen möglich wäre. Sie entwickeln sich so, dass sie immer schwieriger nachzuvollziehen sind, und die evolutionäre Kapazität des Menschen gnadenlos überfordern. Letzten Endes hat unser Gehirn 50.000 Jahre gebraucht, um den jetzigen Stand zu erreichen, und die letzten 200 Jahre waren die turbulentesten und schnelllebigsten. Kein Wunder, dass es da aussteigt.
Sind wir deswegen nun alle Schamanen?
Sicher nicht. Wir sind Techies, Nerds, Bastler, Fachinformatiker, Informatiker, Hacker – wie auch immer wir uns nennen, oder was auf dem Zettel steht, den andere Menschen uns in die Hand gedrückt haben, oder wie die uns nennen. Für die Maschine sind wir alle das gleiche – Mittler zwischen ihr und dem Rest der Gesellschaft.