Therapieende dank Ketamin
Am Dienstag, dem 14.10.2025, war es dann so weit: Ich hatte meinen letzten Tag in der bisherigen Gruppentherapie. Früher als eigentlich geplant, wie kam es dazu?
Therapieerfolg abseits Psychotherapie und Antidepressiva
Meine Depressionen und die daraus folgende Unfähigkeit, meiner Arbeit sinnvoll nachzugehen (und später auch die massive Beeinträchtigung meines Privatlebens) hatten mich 2023 eine Therapie beginnen lassen, von deren Wirksamkeit ich tatsächlich gar nicht so überzeugt war. Ich hätte gerne eine Einzeltherapie gehabt, tiefenpsychologisch oder eine Verhaltenstherapie, doch alle entsprechenden Plätze waren auf viele Monate oder gar Jahre hinaus reserviert. Einzig einen Platz in einer Gruppentherapie konnte ich ergattern, doch trotz der Zweifel griff ich nach jedem Strohhalm - schlimmer konnte es sowieso kaum werden und es bestand immerhin die Chance, dass sich etwas zum Positiven ändern würde.
Die Therapie ansich war auf jeden Fall sinnvoll und ich habe in den zwei Jahren vieles für mich mitgenommen, das mir bestimmt helfen wird, einen Rückfalln in derart schwere Depressionsmuster zukünftig rechtzeitig zu erkennen und gegenzusteuern. Ich habe tolle Menschen kennengelernt, die mir regelmäßig einen Spiegel vorgehalten haben und meine Selbstwahrnehmung in Frage stellten. Ich habe gelernt, für mich selber einzustehen, die Bedürfnisse anderer nicht mehr automatisch über meine eigenen zu stellen und generell kann ich behaupten, nach dieser Therapie um einiges positiver in die Zukunft zu schauen als vorher. Dennoch - an den Depressionen ansich änderte sich wenig, ich steckte nach wie vor in einem tiefen Loch und kam nicht heraus. Dank Home-Office und kurzen Wegen zur Firma konnte ich wenigstens halbwegs arbeitstechnisch anwesend sein, aber wirklich etwas leisten? Fehlanzeige. Meine Sozialkontakte dümpelten auf einem Minimum herum und die meisten Tage versumpfte ich einfach zu Hause, ohne einen Ausblick zu haben.
Und dann, während einer mehrwächigen Krankschreibung, bei der ich im Grunde keine Hoffnung mehr hatte, dass ich danach wieder ins Berufsleben zurückkehren würde, sprach ich mit einigen Bekannten, die selber ähnliche Erfahrungen gemacht hatten. Sie hatten es geschafft, diesen Teufelskreis zu durchbrechen, aber wie? Die kurze wie auch überraschende Antwort war: Ketamin.
Ketamin - wie ein Narkosemittel hilft
Ich hatte durchaus schon von Ketamin gelesen. Als eine von zwei vielversprechenden Therapieformen bei schweren, behandlungsresistenten Depressionen (die andere ist die Elektrokonvulsionstherpie) scheint das Ketamin bei verhältnismäßig geringen Nebenwirkungen eine starke antidepressive Wirkung zu haben - wie lange diese anhält ist noch nicht abschließend erforscht. Ketamin wird hier unter ärztlicher Aufsicht an mehreren Tagen (manchmal stationär in schneller Folge, manchmal im Wochenrhythmus ambulant) als Nasenspray verabreicht, wobei aufgrund der dabei auftretenden Dissoziationen und Halluzinationen Patienten mit Psychosen von der Behandlung ausgeschlossen sind. Ketamin wird aufgrund dieser Wirkungen auch gerne als Partydroge missbraucht, was ich persönlich nicht im Ansatz verstehen kann - die Wirkung empfinde ich als (psychisch) sehr unangenehm und auslaugend und mir würde nicht einfallen, danach noch eine Party zu besuchen.
Die genaue Wirkung von Ketamin ist noch Gegenstand der Forschung. Es scheint, dass gerade schwere Depressionen mit einer Verminderung der Neuroplastizität einiger Hirnbereiche einher geht, also der Fähigkeit, neue Neuronenverbindungen herzustellen. Das könnte aus meiner Sicht erklären, wieso schwere Depressionen so oft auch mit Gedächtnisschwierigkeiten einher gehen: Das Gehirn kann nicht mehr so gut “lernen” und Erinnerungen abspeichern wie in gesundem Zustand. Meine Gedanken hierzu sind allerdings laienhaft, ich reime mir vieles zusammen, damit es für mich Sinn ergibt. Allem Anschein nach setzt Ketamin jedenfalls an genau dieser Stelle an und stellt - auf welche Art auch immer - Neuroplastizität wieder her.
Leider stand mir die von der Kasse übernommene Ketamin-Therapie nicht offen, denn ich erfüllte zwar die Anforderungen (behandlungsresistente schwere Therapie mit mindestens zwei gängigen Antidepressiva, die nicht gewirkt haben), doch während der Therapie erfolgt zusätzlich eine Therapie mit weiteren Antidepressiva. Aufgrund meiner durchweg schlechten Erfahrungen damit, vor allem mit den zum Teil bis heute anhaltenden Nebenwirkungen, lehne ich Antideprtessiva für mich ab und könnte daher nicht regulär behandelt werden.
Off-Label-Therapie to the rescue!
Nun hatte ich enormes Glück, dass einer meiner Bekannten selber gerade in Behandlung war und den Kontakt zu einer Ärztin herstellte, die mich auch abseits der Kassenleistung behandeln würde. Und auch wenn mir psychopharmaka einen gehörigen Respekt einflößen, vereinbarte ich ein Beratungsgespräch. Die Behandlung erfolgt nicht über Nasenspray, sondern intravenös, das scheint besser dosierbar zu sein und der Patient kann sehr gezielt in einen dissoziativen Zustand gebracht werden. Ob dieser generell notwendig ist oder nicht weiß ich nicht, vermutlich reichen auch geringere Dosen aus, um die neurochemische Wirkung im Gehirn anzustoßen. Auf jeden Fall ist die Behandlung nach ca. einer Stunde beendet, nach einem halben Dutzend Behandlungen sollte eine deutliche Verbesserung des Zustands eintreten. Schauen wir also mal!
Fast forward drei Monate später. Nach der dritten Infusion ging es mir gut. So richtig gut. Ketamin wird schon nach kurzer Zeit wieder abgebaut, nach einer Stunde sollte nichts davon mehr im Kreislauf nachzuweisen sein. Es ist also kein “high sein” oder Ähnliches, aber der ganze “depressive Druck” ist weg. Ich kann wieder klar denken, ich habe wieder Spaß an Dingen, “fühle” wieder, kann mich stundenlang in Arbeit hängen ohne erschöpft zu sein. Im Grunde geht es mir so gut wie in den letzten zehn Jahren nicht mehr. Wir machen aktuell eine Pause, da ich einige berufliche und persönliche Dinge regeln muss, die potenziell eine negative Auswirkung auf die Therapie hätten, daher schreibe ich gerade mit anderthalb Monaten Abstand zur letzten Infusion.
Kontrollierter Ketamin-Rausch
Doch wie fühlt es sich an, mit Ketamin behandelt zu werden? Ich versuche mal, meine subjektiven Erlebnisse irgendwie wiederzugeben.
Die ersten Minuten der ca. 30-45 Minuten andauernden Infusion bemerkte ich nicht viel. Wir waren beim ersten mal langsam eingestiegen und die Dosis war noch relativ gering gewählt. Doch während ich mich mit meiner Ärztin unterhielt bemerkte ich, dass ich plötzlich seltsame gluckernde Geräusche, wie eine große Blase, die in einem Rohr entsteht und aufsteigt. Auf meine Rückfrage hin verneinte sie, solche Geräusche gehört zu haben, es könne aber sein, dass das die Heizung gewesen sei. Sie erklärte mir, dass ich vermutlich Geräusche sehr viel sensibler wahrnehme als normal, da diese mehr und mehr ungefiltert bei mir ankommen. Im Laufe der Minuten bemerkte ich dann noch andere Veränderungen. Der Behandlungsraum war in weiß und lindgrün gehalten, ein schallschluckender Vorhang war lila. Diese drei Farben wurden sehr intensiv, auf eine Art, die ich nur sehr schwer erklären kann. Ich habe jedenfalls noch nie so intensive Farbtöne gesehen wie während der Behandlung.
Im weiteren Verlauf der Behandlung erlebte ich zudem ein Auseinanderfallen meiner Sinneswahrnehmungen. Ich konnte nicht mehr unterscheiden, ob ich etwas sehe, höre, fühle, rieche oder schmecke. Alle Wahrnehmungen waren extrem verstärkt und verschwammen mit der Zeit miteinander. Bei der dritten Behandlung erlebte ich etwas, das für mich sehr spannend war: Meine visuelle Wahrnehmung zerfiel in mehrere Ebenen. Ich nahm den ganzen Raum als Standbild wahr, stell Dir das wie einen Desktop-Hintergrund vor. Mein Fokus, der normalerweise der Augenbewegung folgt und damit das ganze Bild verschiebt, bewegte sich stattdessen wie ein Mauszeiger über dieses Hintergrundbild, welches selber statisch blieb. Das ansich war schon sehr strange, aber richtig spannend wurde es, als sich meine Ärztin bewegte. Sie erschien als eigenständige Ebene, vollkommen losgelöst von dem Gesamtbild. Es ist schwer zu beschreiben, wir nehmen üblicherweise alles, was wir sehen, als ein Bild wahr, mit sich bewegenden Elementen, aber alles ist ein Eindruck. Dieser fiel einfach auseinander in einzelne Elemente, die unabhängig vom Gesamtbild agierten.
Am Ende der dritten Behandlung (wir hatten die Wirkstoffkonzentration hochgesetzt) zerfiel schließlich zum Ende hin alles und ich erlebte einen wilden Mix aus Wahrnehmungen, die zusammenhanglos umeinander schwirrten. Das war der einzige Zeitpunkt, an dem ich anfing, mir Sorgen zu machen, denn ich war in meinem Empfinden so tief in die Dissoziation eingetaucht, dass ich nicht mehr wusste, wie ich daraus zurück in meine normale Wahrnehmung kommen sollte. Doch das langsame Ausleiten der Ketamin-Zufuhr übernahm das für mich. Meine Wahrnehmung setzte sich Stück für Stück wieder zusammen, es fühlte sich an, als würde ich durch alle Realitäts- und Wahrnehmungsebenen wieder in meine eigene gewohnte Realität zurückfallen.
Meine Zeitwahrnehmung war während allen Behandlungen nahezu abgeschaltet, ich könnte nicht sagen, ob das Ganze Minuten oder Stunden andauerte. Spannend (auch für meine Ärztin) war aber, dass ich selbst im tiefsten dissoziativen Zustand noch in der Lage war, klar zu denken, zu reden und aktiv (und sinnvoll) auf Fragen zu antworten. Das scheint die Ausnahme zu sein und ich weiß nicht, woran das liegt - es tut dem Erlebten und der Wirkung jedenfalls keinen Abbruch. Auch, dass ich nach der Behandlung eine Stunde zum nächstgelegenen Bahnhof durch Wald und Flur wandere, um dann anderthalb Stunden nach Hause zu fahren ist wohl nicht normal, in der Regel fühlt man sich nach der Behandlung wohl sehr angreifbar und schutzlos, so dass den Patienten eher empfohlen wird, sich abholen zu lassen oder ein Taxi zu einem Hotel in der Nähe zu nehmen. Fahrtüchtig ist man jedenfalls nicht mehr und auch nicht wirklich geschäftsfähig, also sollte man all so etwas vorher planen.
Ausblick
Die Behendlungen zahle ich aus eigener Tasche, die Kasse übernimmt nur die Regeltherapie. Das sind pro Anwendung zwar je nach Arzt ab ca. 200€, aus meiner Sicht ist es aber gut investiertes Geld. Selbst wenn nach der Grundtherapie alle 1-2 Monate eine “Erhaltungs-Therapie” notwendig werden würde, wäre das tragbar und die positiven Effekte wiegen die Ausgabe auf jeden Fall auf.
Ich beobachte die Effekte dieser Therapie jetzt seit gut drei Monaten und bin überzeugt, dass Ketamin in der zukünftigen Depressionsbehandlung eine größere Rolle spielen sollte. Derzeit laufen Forschungen in dieser Richtung und ich wünsche mir, dass Ketamin in absehbarer Zeit auch als Primärtherapie, vor allem für schwere Depressionen, zugelassen wird. Die Wirksamkeit geht offenbar über alles hinaus, was gängige Antidepressiva leisten können und man könnte damit vielen ihre Leiden schnell und unkompliziert lindern.